Selbstbeherrschung vs. Selbstzensur

Wieviel Zurückhaltung sollten Journalisten in Europa bei der Berichterstattung über den Terrorismus üben?
Von Jean-Paul Marthoz

Europas Journalisten sind nervös. Seit der brutalen Hinrichtung von acht ihrer Kollegen bei der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo am 7. Januar 2015 ist ihnen unmittelbar klar geworden, dass sie in der Schusslinie von Extremisten stehen.

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Attacks on the Press book cover
Attacks on the Press book cover

„Journalisten werden der Angst nicht nachgeben”, sagte Ricardo Gutierrez, Generalsekretär der Europäischen Journalisten-Föderation, nachdem bei einem zweiten Anschlag am 13. November 2015 ein weiterer Journalist getötet wurde, der über das Konzert der Eagles of Death Metal im Bataclan berichtet hatte.

Die meisten gelobten, der Angst zu trotzen. Manche (vor allem Karikaturisten) gaben aber auch offen zu, dass sie sich gründlich überlegten, ob sie eine Geschichte einreichten oder eine Kolumne verfassten, die möglicherweise den Zorn der Terroristen entfachen könnte.

Ihr Unbehagen rührt auch von dem bohrenden Gefühl her, die Behörden betrachteten Journalisten trotz ihrer öffentlichen Bekenntnisse zur Meinungsfreiheit und zur freien Presse mit einem gewissen Argwohn – so als seien sie ein Hemmnis bei der Bekämpfung des Terrorismus.

Die Frage, die sich Journalisten in einem solchen Umfeld stellen müssen, lautet: An welchem Punkt wird Selbstbeherrschung zur Selbstzensur?

Freilich gehen die EU-Mitgliedstaaten nicht so weit wie der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan, der kritische Reporter und Kolumnisten allzu schnell als Komplizen der Terroristen denunziert. Doch in sicherheitspolitischen Kreisen in Europa gilt der Ausspruch der ehemaligen britischen Premierministerin Margaret Thatcher, die Medien seien „der Sauerstoff der Terroristen”, vielen noch immer als Dogma. Indem sie die Lage als „Krieg” bezeichnen, erwarten Regierungsfunktionäre, dass die Medien spuren.

Ein französischer Polizist kontrolliert ein Stadion in Nizza mit einem Spürhund, Februar 2016. Nach einer Serie von Terroranschlägen haben Europas Städte ihre Sicherheitsmaßnahmen verstärkt. (Reuters/Eric Gaillard)
Ein französischer Polizist kontrolliert ein Stadion in Nizza mit einem Spürhund, Februar 2016. Nach einer Serie von Terroranschlägen haben Europas Städte ihre Sicherheitsmaßnahmen verstärkt. (Reuters/Eric Gaillard)

Diese gefährliche Entwicklung unterstreicht auch ein am 26. Januar 2016 veröffentlichter Bericht des Europarats-Ausschusses für politische Angelegenheiten und Demokratie, der bemerkt: „Die Bekämpfung des Terrorismus und der Schutz der Normen des Europarats (Achtung der Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und gemeinsame Werte) stehen nicht im Widerspruch zueinander, sondern verhalten sich komplementär […] Die Versammlung erkennt die Notwendigkeit an, dass Mitgliedstaaten Zugang zu ausreichenden Rechtsinstrumenten zur Bekämpfung des Terrorismus haben, warnt jedoch vor der Gefahr, dass Antiterrormaßnahmen unverhältnismäßige Einschränkungen mit sich bringen oder die demokratische Kontrolle schwächen und so im Namen der Verteidigung der Staatssicherheit fundamentale Freiheitsrechte und die Rechtsstaatlichkeit verletzen.”

Allmählich und tröpfchenweise integrieren die Medien die Vorbehalte in ihre Arbeitsabläufe. So mancher Journalist greift den Anordnungen oder Empfehlungen der Sicherheitsbehörden sogar vor oder tut weit mehr, als nur Folge zu leisten. Auch wenn die meisten den Begriff der Selbstzensur zurückweisen, ist „Vorsicht” mittlerweile gleichbedeutend mit „ethischem” oder „verantwortungsvollem” Journalismus geworden.

Nach dem Mord an einem katholischen Priester in Saint-Étienne-du-Rouvray in der Normandie am 26. Juli 2016 entschied der führende französische Nachrichtensender BFM TV, keine Bilder der Terroristen mehr zu zeigen. „Wir wollen es vermeiden, Terroristen auf eine Ebene mit ihren Opfern zu stellen, deren Fotos wir weiterhin senden”, so Hervé Béroud, Nachrichtenchef bei BFM TV. Der Nachrichtenkanal, der rund um die Uhr sendet, sperrte insbesondere ein Foto, das einen der Attentäter zeigt. „Ein lächelndes schönes kleines Kind, das gerade einem Priester die Kehle durchgeschnitten hat”, fügte Béroud hinzu.

Frankreichs Referenzblatt Le Monde entschied sich für ein ähnliches Vorgehen. „Nach dem Anschlag in Nizza (am 14. Juli) werden wir nicht länger Fotos der Attentäter veröffentlichen, um einer posthumen Glorifizierung vorzubeugen”, schrieb Chefredakteur Jérôme Fenoglio. Die Entscheidung beschränkte sich auf Fotos, welche die Terroristen selbst gemacht hatten oder die aus ihrem Alltagsleben vor den Anschlägen stammten. Bilder mit eindeutigem Nachrichtenwert seien von dem Verbot ausgenommen, fügte Le Monde hinzu.

Europe 1, einer der wichtigsten französischen Radiosender, ging noch weiter und beschloss, die Attentäter nicht namentlich zu nennen. „Eine solche Entscheidung erscheint löblich, doch es ist unwahrscheinlich, dass einer der Terroristen radikalisiert wurde, während er Le Monde las”, so Benoit Grevisse, Professor für Medienethik an der Katholischen Universität Löwen. „Sie ignoriert die Realität der sozialen Medien und der Internetseiten. Überdies widerspricht sie einem Grundwert der Medienethik: Die Verpflichtung, in Fragen von öffentlichem Interesse die Wahrheit zu finden und öffentlich zu machen. Eine Nicht-Veröffentlichung vorab festzulegen, impliziert, dass bestimmte Informationen wie Namen oder Gesichter nie von öffentlichem Interesse sind.”

Wenngleich andere Nachrichtenredaktionen bekräftigten, dass sie das Recht und, ihrer Wahrnehmung nach, auch die Pflicht hätten, die mutmaßlichen Terroristen abzubilden und beim Namen zu nennen, entlarven diese Initiativen die ethischen Dilemmas, vor denen die etablierten Medien in ihrer Berichterstattung über den Terror stehen. Die Rufe nach Mäßigung und Verantwortlichkeit sind seit der Anschlagswelle in Frankreich und Belgien immer lauter und häufiger geworden, hauptsächlich weil die ununterbrochene Berichterstattung über die dramatischen Ereignisse zu einer Reihe ungeheuerlicher Irrtümer und Fehltritte geführt hatte. Nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo und während der Geiselnahme in dem Pariser Supermarkt Hyper Cacher einige Tage später überschritten einige Medien, insbesondere 24-Stunden-Nachrichtensender, rote Linien. Am 12. Februar 2015 veröffentlichte der Hohe Rat für audiovisuelle Medien (CSA) eine deutliche Erklärung, die 36 „Mängel” in der Medienberichtserstattung über die Vorfälle beleuchtete, insbesondere die Ausstrahlung von Informationen über Polizeieinsätze, welche möglicherweise auch von den Terroristen verfolgt wurde, sowie die Offenbarung, dass sich in Teilen der Gebäude, in denen die Terroristen noch aktiv waren, Menschen versteckten.

Ebenso gab ein französisches Wochenmagazin im März 2016 bekannt, dass die belgische Polizei bei einer Razzia in einem Haus in einem Brüsseler Vorort DNA von Salah Abdeslam, einem Beteiligten der Pariser Anschläge im November 2015, gefunden habe, dem damals meist gesuchten Justizflüchtling in Europa. Diese Enthüllung hätte Abdeslam warnen können. In einem anderen Fall postierte ein großer belgischer Privatsender seinen Übertragungswagen bereits vor Beginn des anschließenden Polizeieinsatzes vor dem Haus, in dem sich Abdeslam versteckte.

„Sie opfern die Sicherheit meiner Mitarbeiter auf dem Altar der Einschaltquote”, so Claude Fontaine, Direktor der belgischen Gerichtspolizei in einer Fernsehdebatte.

Nach jedem Anschlag wurde auf die Medien eingedroschen, auch von Personen innerhalb der Zunft. Am 8. August 2016, drei Wochen nach dem Blutbad in Nizza, veröffentliche der preisgekrönte Kolumnist und Schriftsteller Jean-Claude Guillebaud eine vernichtende Kolumne mit dem Titel „Wenn die Medien verrückt werden”.

Zweifellos reagierten einige Akteure in den Medien über und verloren dabei Ethikregeln aus dem Blick. Doch wenn die journalistische Integrität durch den übertriebenen Medienrummel um die Terrorakte gefährdet ist, dann liegt dies auch daran, dass manche Menschen glauben, die Presse solle ein Teil des allgemeinen Kampfs gegen den Terrorismus sein.

Dabei haben sich die Medien überwiegend eindeutig positioniert. Nach Paris, Brüssel und Nizza verurteilten Journalisten diese abscheulichen Akte in Kommentarspalten, Artikel und Sendungen einhellig und scharf. Dennoch besteht die Gefahr, dass die Angst vor einer möglichen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder der Wunsch nach Harmonie mit der geschockten Öffentlichkeit dazu führt, dass Journalisten ihre legitime Berichterstattung über Antiterrormaßnahmen entschärfen. und Damit würden sie ihre Kontrollfunktion im Namen der nationalen Einheit oder des Gemeinwohls einschränken.

Einige wenige belgische Journalisten sträubten sich zwar, als die Polizei die Presse „einlud”, sich während einer Razzia gegen mutmaßliche Verstecke von Terroristen in Brüssel selbst stumm zu schalten, doch die Medien fügten sich. Sie veröffentlichten auf ihren Internetseiten stattdessen so lange Katzenfotos, bis es für sicher befunden wurde, über die Razzien zu berichten. „Sind die belgischen Medien verantwortungsvoller oder unterwürfiger als die französischen?”, fragte Cécile Ducourtieux, Brüssel-Korrespondentin von Le Monde.

„Die Einschränkung der Live-Berichterstattung über Polizeieinsätze wird als legitim betrachtet, solange sie keinen Akt der Zensur von Nachrichten darstellt”, so Jean-François Dumont, Vizegeneralsekretär des belgischen Verbands der Berufsjournalisten.

Dennoch blieben belgische Journalisten vor Ort und filmten ohne zu senden oder Details über den Ort der Razzien im Internet zu veröffentlichen. Wenige Stunden später berichteten sie dann umfassend über die Ereignisse.

„Die Medien tragen die Pflicht, Polizeiaktionen zu überwachen; sie sind verpflichtet, eine Bestandsaufnahme zu machen”, erklärte Jean-Pierre Jacqmin, Nachrichtenleiter beim französischsprachigen belgischen Staatsrundfunk RTBF.

Tatsächlich sind die Medien verpflichtet, über den „Fusionsjournalismus” hinaus zu gehen, welcher naturgemäß in den ersten Stunden nach einem Anschlag vorherrscht und getragen wird von dem Mitgefühl mit den Opfern, Appellen zu nationaler Einheit, der Bewunderung für die Nothelfer und dem Respekt für den Einsatz der Sicherheitskräfte.

Unter Journalisten herrscht allgemein Übereinstimmung darüber, dass Menschlichkeit und Trauer nicht die Pflicht der Presse ersetzen können, die Tatsachen zu berichten, auch wenn sie schockierend oder unbequem sind. Manche Politiker sind allzu schnell bereit, Journalisten zu stigmatisieren, die ausscheren und darauf bestehen, nach dem Warum zu fragen, auch wenn dies die emotionale „Einheit” der Nation aufzubrechen droht. Während einer Fragestunde des Senats am 26. November 2015 erklärte Frankreichs Premierminister Manuel Valls, er sei „jener Menschen überdrüssig, die immer nach Ausreden oder kulturellen und soziologischen Erklärungen [für die Anschläge] suchen”. Am 9. Januar 2016, als Valls den Opfern der Geiselnahme in dem jüdischen Supermarkt Hyper Cacher seine Ehrerbietung erwies, bekräftigte er dieses Argument: „Erklären ist schon ein bisschen wie entschuldigen.” Dieser Sichtweise widersprach jedoch ein im März 2016 veröffentlichter Bericht, der nach den Anschlägen im November 2015 von der Regierung in Auftrag gegeben worden war: „Die Gründe einer Bedrohung zu kennen, ist die wichtigste Voraussetzung, um sich vor ihr zu schützen”, schrieben die Autoren, ein Team von Wissenschaftlern der renommierten Athena Alliance (ein sozialwissenschaftliches Forscherkollektiv). Mit den gleichen Worten ist auch das journalistische Ethos definiert.

Der Punkt ist, dass die Abscheu vor den Anschlägen Journalisten nicht von ihrer Pflicht entbindet, Fakten zu berichten und unangenehme Fragen zu stellen. „Bei den Kommentarseiten war das richtige Timing ein Faktor – zu beurteilen, wann die Leser bereit sein würden, sich mit einer Idee zu befassen, welche in den ersten 24 Stunden nach den Anschlägen möglicherweise für Irritationen gesorgt hätte”, schrieb Chris Elliot, Standards Editor bei The Guardian, am 23. November 2015, kurz nach den Anschlägen von Paris. „Der Gedanke, dass diese scheußlichen Attentate Gründe haben und dass einer dieser Gründe die Politik des Westens sein könnte, ist etwas, das in der unmittelbaren Folgezeit für Wut sorgen könnte. Drei Tage später ist es eine Meinung, die man sich anhören sollte.”

Alain Genestar, Direktor des Hochglanz-Fotomagazins Polka, verfasste im September 2016 einen Leitartikel, in dem er ähnlich argumentiert und das Recht und die Pflicht der Medien, unabhängig zu informieren, verteidigt: „Jedem Bürger steht es zu, die Wirksamkeit der Sicherheitspolitik ihrer Regierung in Frage zu stellen, wenn in 18 Monaten 230 Menschen sterben”, so Genestar. „Jeder Bürger hat das Recht, vom Innenminister, der nach dem Anschlag in Nizza sehr schmallippig war, Erklärungen zu fordern. In einer echten Demokratie bedeutet Eintracht nicht, jemandem blindes und taubes Vertrauen zu schenken, selbst wenn es der Präsident ist.” Der Titel seines Leitartikels „Während der Anschläge geht die Demokratie weiter” unterstreicht, dass es entscheidend für die Bekämpfung des Terrorismus ist, wie demokratische Staaten reagieren, welche Methoden sie anwenden, und, ob sie die Weitsicht besitzen, bei Rechtsstaatlichkeit und Grundrechten keine missbräuchlichen Ausnahmen zu machen. Wenige Journalisten konzentrieren sich jedoch darauf, Recherchen durchzuführen, die in Frage stellen könnten, wie wirksam oder rechtmäßig Polizei- und Geheimdienstoperationen sind. Solche Themen werden meist den Ermittlern von Menschenrechts- oder Bürgerrechtsorganisationen überlassen.

„Manche Journalisten scheinen Angst zu haben, Quellen innerhalb von Behörden zu verlieren, die ihnen Hinweise zu Operationen, Festnahmen oder Ermittlungen geben”, so Andrew Stroehlein, Mediendirektor für Europa bei Human Rights Watch. „Möglicherweise haben sie auch Angst, die Öffentlichkeit zu verärgern, die in Krisenzeiten dazu neigt, den Behörden zu vertrauen und journalistische Einzelkämpfer für unpatriotisch zu halten, oder sogar für nützliche Idioten der Terroristen.”

Die Ansicht der ehemaligen Herausgeberin der Washington Post Katherine Graham, die erklärte, „Nachrichten sind das Lebenselixier der Freiheit”, wird nicht ausnahmslos geteilt. Wenn sie zwischen Freiheit und Sicherheit abwägen müssen, dies haben viele Studien gezeigt, entscheiden sich die meisten Menschen dafür, Freiheitsrechte einzuschränken und die Sicherheit an erste Stelle zu rücken. Nach dem Blutbad auf der Promenade des Anglais in Nizza, bei dem am 14. Juli 2016 mindestens 84 Menschen getötet und Hunderte verletzt wurden, ergab eine Umfrage des Französischen Instituts für öffentliche Meinung (IFOP), dass 81 Prozent der erwachsenen französischen Bevölkerung bereit waren, ihren traditionellen liberal-demokratischen Lebensstils zur Bekämpfung des Terrorismus einzuschränken. „Wir beobachten eine Art demokratische Zustimmung zur Verringerung demokratischer Freiheitsrechte”, so François Saint-Bonnet, Professor an der Universität Paris.

Für manche Behörden könnte es verlockend sein, das Argument der öffentlichen Sicherheit für kontroverse Bestimmungen zu missbrauchen, die nichts mit der Terrorgefahr zu tun haben. Im August 2016 drohte Christan Estrosi, ein leitendes Mitglied der oppositionellen Mitte-Rechts-Partei und ehemaliger Bürgermeister von Nizza, Nutzer sozialer Netzwerke strafrechtlich zu verfolgen, die Fotos davon geteilt hatten, wie eine Einsatzgruppe der städtischen Polizei eine moderat verschleierte, am Strand sitzende Frau befragte. Estrosi behauptete, wegen der Fotos, die auf dem Höhepunkt der Debatte über ein Verbot von Burkinis (Ganzkörperbadeanzügen) entstanden waren, seien die Beamten bedroht worden.

Die Behörden handeln zunehmend so, als rechtfertige es die Bedrohung durch den Terrorismus oder öffentliche Unruhen, das Recht auf freie Berichterstattung einzuschränken. In den Niederlanden wurde das „öffentliche Interesse”, die Gefahr für die „öffentliche Ordnung” oder die Bedrohung des „friedlichen Zusammenlebens” herangezogen, um bei der Berichterstattung zum Thema Migration grundlegende Elemente der journalistischen Arbeit zu verbieten. In einer Reihe niederländischer Kleinstädte verhängte die Regierung eine Pressesperre, um Journalisten daran zu hindern, über öffentliche Debatten zwischen den Behörden und Anwohnern hinsichtlich der Eröffnung von Flüchtlingszentren zu berichten. Die Behörden erklärten, die Gegenwart von Kameras und Reportern lasse Emotionen aufflammen und durchkreuze die Bemühungen, das umstrittene Thema in einer höflichen Weise zu diskutieren.

„In einer offenen und demokratischen Gesellschaft ist es den Medien selbst überlassen, zu entscheiden, worüber sie berichten, wie sie berichten und welche Methoden sie anwenden”, mahnte die Niederländische Gesellschaft der Chefredakteure.

Sander Dekker, niederländischer Staatssekretär für Bildung, Kultur und Wissenschaft, stellte sich in seiner Antwort auf eine parlamentarische Anfrage hinter die Entscheidung und argumentierte, die Maßnahme sei „nicht unverhältnismäßig”.

In zunehmendem Maße verabschieden demokratische Regierungen Gesetze und Maßnahmen zur öffentlichen Sicherheit, welche die Ausübung des unabhängigen Journalismus gefährden. Am 30. Juni 2015 verabschiedete die spanische Regierung ein Gesetz zur öffentlichen Sicherheit, auch bekannt als „Knebelgesetz”, welches hohe Geldstrafen gegen Personen erlaubt, die bei Polizeieinsätzen filmen. Solche Gesetze, so die Begründung der spanischen Regierung, seien dazu bestimmt, die Privatsphäre und Sicherheit der Sicherheitskräfte und ihrer Angehörigen zu schützen. Pressefreiheits- und Menschenrechtsorganisationen kritisierten, das Gesetz untergrabe faktisch das Recht der Presse, das Verhalten der Polizei zu kontrollieren, und es garantiere Straflosigkeit für missbräuchliches Verhalten und Grundrechtsverletzungen.

Im April 2016 wurde Axier Lopez, ein für das baskische Magazin Argia tätiger Journalist, als erster nach dem neuen spanischen Gesetz zu einer Geldstrafe verurteilt. Er hatte auf seinem Twitter-Kanal ein „nicht-autorisiertes” Foto von Polizisten bei einer Verhaftung veröffentlicht. „Durch diese Bilder ist es möglich, die an dem Einsatz beteiligten Beamten zu identifizieren, mit allen Gefahren für die Beamten, die aus einer öffentlichen Identifizierung resultieren können”, erklärte ein Richter während des anschließenden Verfahrens.

Analog dazu trat in Frankreich im Juli 2015 ein „Schnüffler-Gesetz” in Kraft, welches den Sicherheitsdiensten erlaubt, Unterhaltungen im Internet abzuhören. Da das Gesetz auch Journalisten nicht ausnehme, berge es die Gefahr einer Einmischung in ihre legitime Arbeit und gefährde die Vertraulichkeit ihrer Quellen, warnten Organisationen zum Schutz der Pressefreiheit. Das Gesetz „befugt zu einer sehr zudringlichen Überwachung auf der Grundlage weitreichender und schlecht definierter Ziele, ohne vorherige richterliche Autorisierung und ohne einen angemessenen unabhängigen Kontrollmechanismus”, so der UN-Menschenrechtsausschuss.

Wenn über das Recht der Medien – und damit indirekt auch der Öffentlichkeit – darauf, Bescheid zu wissen, diskutiert wird, bezweifelt kaum jemand, dass der Terrorismus eine erhebliche Bedrohung für demokratische Gesellschaften darstellt. Den meisten Medienschaffenden sind die Gefahren des Terrorismus ebenso bewusst wie ihre Verantwortung, den Terroristen nicht den „Sauerstoff der Öffentlichkeit” zu liefern. Doch der Terrorismus ist nicht nur wegen seiner unmittelbaren Gewalt gegen Menschen gefährlich, die oft unschuldige Zivilisten sind. Die Attentäter versuchen auch, die Demokratie als leere Hülle darzustellen, die leicht durch Angst aufgebrochen werden kann. Sie wollen allmählich all das abtragen oder ganz niederreißen, was eine erfolgreiche und lebhafte Demokratie grundlegend ausmacht.

Deshalb müssen Journalisten, die versuchen, bei ihrer Berichterstattung umsichtig und sorgsam zu sein, sich auch der Tatsache stellen, dass ein unabhängiger und wachsamer Journalismus heute mehr denn je gebraucht wird. Denn dieser schützt demokratische Staaten und ihre Bürger vor ihren eigenen Instinkten, die sie überreagieren lassen. Im Grunde bedeutet dies, dass eine freie Presse als Bollwerk gegen den Missbrauch und die Restriktionen fungieren kann, welche die angegriffenen Staaten tatsächlich in die Falle der Terroristen führen. Der Ausspruch des legendären rebellischen Journalisten I.F. Stone kann hier als Warnung dienen. „Alle Regierungen lügen”, so Stones berühmt gewordene Worte in seinem 1967 veröffentlichen Buch In a Time of Torment, „doch für Staaten, deren Funktionäre das gleiche Haschisch rauchen, das sie verteilen, liegt die Katastrophe schon auf der Lauer.”

Der US-Senator J. William Fulbright forderte in einer Rede, die er während des Vietnamkriegs am 25. April 1966 hielt: „Sein Land zu kritisieren, heißt ihm einen Dienst zu erweisen und ihm ein Kompliment zu machen. Es ist ein Dienst, denn es könnte das Land dazu anregen, besser zu handeln, als es gerade handelt; es ist ein Kompliment, denn es bezeugt den Glauben, dass das Land besser handeln kann als es handelt. […] Kritik ist, kurz gesagt, mehr als ein Recht: Sie ist ein patriotischer Akt – eine höhere Form der Vaterlandsliebe, so meine ich, als die bekannten Rituale nationaler Schmeichelei.”

Jean-Paul Marthoz ist ein belgischer Journalist und Autor, dessen jüngstes Buch über Journalismus und Terrorismus von der UNESCO herausgegeben wurde. Er lehrt globalen Journalismus an der Katholischen Universität Löwen (Belgien) und ist ehemaliger EU-Vertreter von CPJ.